In meinem letzten Beitrag ging es um lieb gemeinte Ratschläge, die weniger helfen als schmerzen. Dabei kam ich auch auf die Floskel „Aber ihr könnt doch adoptieren“ zu sprechen. Dieses Thema möchte ich gern nach meinem Standpunkt genauer ausgeführen.
Der Ratschlag, man könne doch adoptieren wirft unseren Kinderwunsch in einen Topf mit einer Adoption. Die logische Folge lautet scheinbar: Zuerst versucht man es mit unverhütetem Sex, danach wird die reproduktivmedizinisch unterstützte Behandlung ausgereizt, bevor dann die Adoption als adäquates Mittel zur Befriedigung des Kinderwunsches herhält. Diese Liste ließe sich vermutlich noch um den Punkt, sich als Pflegeeltern zur Verfügung zu stellen, ergänzen.
Der Wunsch sich fortzupflanzen
Für uns ist die Adoption jedoch ein völlig losgelöstes Thema. Nicht uninteressant, aber auch nicht im gleichen Atemzug mit unserem Kinderwunsch zu nennen. Wir sehnen uns – ganz egoistisch – nach einem Kind, in dem wir uns wiederfinden können, das eine Verschmelzung unserer genetischen Anlagen in sich trägt. Ich liebe meine Frau und finde, dass die Welt eine kleine Ausgabe von ihr gut gebrauchen könnte. Wenn ein wenig von mir ebenfalls in dem kleinen Wesen aufblitzt, wäre es für die Welt (hoffentlich) auch nicht zum Nachteil. Der Wunsch nach einem Kind hängt mit unserer Evolution zusammen, mit dem Trieb sich fortzupflanzen.
Ein Kind zu adpotieren bedeutet sicher auch Familie sein zu können, einem kleinen Wesen den Weg in diese Welt zu weisen, gemeinsame Werte zu vermitteln. Doch der Absender des Ratschlags berücksichtigt nicht, welche evtl. Schwierigkeiten im Leben mit einem Adoptivkind schlummern, welche Themen die Erziehung eines adoptierten Kindes bereithält. Besonders in der Pubertät beginnt ein Kind seinen Standpunkt zu entwickeln, seine eigene Basis zu stärken, sich zu verorten, seine Grundsätze zu formen, die eigenen Eltern in Frage zu stellen. Nur wer sind die eigenen Eltern? Dass in dieser Phase grundlegende Zweifel aufkommen, ist wahrscheinlich, da die Fragen „Wo komme ich eigentlich her?“ und „Warum erkenne mich in meinen Eltern nicht wieder?“ nicht vollständig beantwortet werden können. Für ein leibliches Kind sind diese Krisen vermutlich anders, wenn nicht gar leichter, zu bewältigen – wie auch für die Eltern.
Ein Familienleben mit eigenen oder Adoptivkindern sind für mich zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Ob das so stimmt, weiß ich nicht, aber diese Gedanken schwirren mir bei der Frage nach einer Adoption im Kopf herum. Das Leben mit einem adoptierten Kind wäre, jedenfalls für mich, ein anderes. Das scheint jedoch in dem Ratschlag „Aber ihr könnt doch adoptieren“ keine Berücksichtigung zu finden.
Adoptieren, um zu helfen?
„Aber ihr könnt doch adoptieren“ beinhaltet manchmal auch die Auffassung, dass Horden von Kindern, die von verantwortungslosen Eltern ausgesetzt und ausgestoßen wurden, nur sehnlichst darauf warten endlich von potentiellen Adoptiveltern in eine liebevolle und gut situierte Famile aufgenommen zu werden. Wenn diese Vorstellung stimmen würde, könnten wir ja eigentlich gleich Montag zu IKEA fahren, die Einrichtung für das Kinderzimmer einkaufen und danach ein dazu passendes Kind auswählen. Dass hier aber Vorstellung und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, zeigen die folgenden Zahlen.
Im Jahr 2014 waren 5.765 Adoptionsbewerbungen vorgemerkt, denen 3.805 zu adoptierende Kinder und Jugendliche gegenüberstanden. Das sieht auf den ersten Blick recht erfolgversprechende aus, denn auf jedes Kind bzw. jeden Jugendlichen kommen nur 1,5 Bewerbungen. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass über 60% der Adoptionen von Verwandten oder Stiefeltern angenommen wurden, steht die eigene Bewerbung plötzlich in Konkurrenz zu 3,9 anderen Bewerbungen. Die Wahrscheinlichkeit ein Kind oder Jugendlichen adoptieren können liegt somit nur bei 25,9%. Wenn nun noch persönliche Vorlieben, wie z.B. Alter zwischen 1-2 Jahren, deutsch, keine Frühgeburt, berücksichtigt werden sollen, bewegt man sich schnell im einstelligen Prozentbereich.
Dass eine Adoption eine selbstlose Hilfe für arme, verwaiste Kinder darstellt, ist scheinbar eine weitverbreitete Annahme. Dabei muss sich niemand aufopfern, um die armen Kindern zu adoptieren. Die Schlangen von willigen Paaren sind lang und für jedes zu adoptierende Kind wurde in Deutschland bisher ein Elternpaar gefunden. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von „Nachfrage“ sprechen, aber dann stempelt ihr mich vermutlich endgültig als emotionslos ab.
Sich für eine Adoption zu entscheiden bedeutet demnach, sich auf die Ungewissheit einzulassen. Nicht zu wissen, ob man eine Familie gründen kann. Es ist mit viel Zeit verbunden – Zeit der Vorbereitung und Zeit des Wartens. In meiner Vorstellung ist es dem unerfüllten Kinderwunsch nicht fern: Hoffen, bangen und der Ausgang ist ungewiss. Ich vermute auch eine Entscheidung zur Adption braucht viel Energie und Kraft.
Grundsätzlich bin ich ein großer Befürworter des Systems, nach dem in Deutschland Adoptionsverfahren durchgeführt werden. Paare ohne Kinder, aber mit dem Wunsch nach einem Familienleben, haben die Möglichkeit sich diesen Wunsch zu erfüllen. Kinder, deren Eltern nicht imstande sind, sich ausreichend zu kümmern, bekommen eine aussichtsreiche Alternative geboten. Auch Eltern oder alleinlebenden Müttern wird ein legaler Weg aufgezeigt, ihr Kind in eine umsorgte Zukunft zu geben, wenn sie selber ihrem Kind keinen ausreichenden Schutz bieten können. Auch wenn die Verfahren viel von den zukünftigen Adoptiveltern abverlangen, sind sie in meinen Augen notwendig, um einen verantwortungsvollen Umgang mit jungen Existenzen zu gewährleisten.
Ihr seht, eine Adoption ist in meinen Augen nicht unproblematisch und kommt für uns zur Zeit nicht in Frage. Unseren Wunsch nach (genetischer) Verschmelzung wird durch das Adoptieren eines Kindes nicht erfüllt, der bürokratische Aufwand schreckt uns ab und mögliche Identitätskrisen machen uns (ein wenig) Angst. Mal abgesehen davon: Warum kann die Alternative denn nicht auch einfach Kinderfreiheit sein?
Die Statistiken zur Adoption in Deutschland entstammen den Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe „Adoptionen 2014“ vom 29.09.2015 des Statistischen Bundesamtes. Aktuelle Zahlen findet ihr hier.
Linktipp:
4 Kommentare
Pflegeeltern zu sein, ist auch nicht einfach. Denn da stehen die leiblichen Eltern quasi daneben, Kontakte sind erwünscht und werden durchgeführt. Zudem hat man kein Sorgerecht, d.h. bei Arztbesuchen entscheidet der Vormund aus dem Jugendamt, der so manches Mal mehrere Kinder gleichzeitig betreut. Und die Kinder haben sehr oft ihre eigene, nicht einfache Geschichte, der sie und die Pflegeeltern sich stellen müssen. Ich ziehe meinen Hut vor den Pflegeeltern, die diese Aufgabe mit Engagement und Liebe begegnen.
Da hast du recht. Es kommt – platt formuliert – daher für uns nicht in Frage.
[…] wir ein Kind adoptieren? Diese Frage haben wir für uns verneint. Einige der Gründe habe ich schon verbloggt. Doch es gibt noch eine Möglichkeit, eigene Kinder zu bekommen – eine […]
Lieber Helge,
vielen Dank für deinen Blog. Dieser Beitrag spricht mir mal wieder aus der Seele. Warum soll es unmoralisch sein, sich ein leibliches, und nur ein leibliches Kind zu wünschen? Ich habe schon oft (viel zu oft) die Frage danach gehört, warum wir nicht (einfach so, na klar) adoptieren. Und nie hatten sich die Fragesteller vorher auch nur im Geringsten mit dem Thema Adoption auseinander gesetzt oder wussten, wovon sie sprachen.
Herzliche Grüße von Johanna