Letzte Woche durfte ich mal wieder eine typische Situation erleben, vielleicht kennt ihr sie auch. Da kommt man gut gelaunt auf eine Hochzeit, wird einem Tisch zugewiesen und stellt fest, die gesamte Runde noch nie gesehen zu haben. Na gut, lernt man halt neue Gesichter kennen.
Doch noch vor dem ersten, von sicher zahllosen weiteren Vorträgen, wird man vom Nachbarsmann gefragt, wo denn die eigenen Kinder wären. „Wir haben keine“, ist meine knappe Antwort. „Ach so. Mmh.“ Kurze Pause. „Die kommen schneller als man denkt. Manchmal wünsche ich mir auch, wir hätten mit den Kinder noch ein bisschen gewartet. Meine Frau hatte noch ein gutes Jobangebote, wollte aber nicht wechseln, wegen der Probezeit“, kommt der Kommunikationsball wieder zurück geflogen. Puh, das wird ja langsam Kinderwunsch-Ping Pong. „Nein, wir können keine Kinder bekommen“, schnibbel ich den Ball zurück. „Oh. Achso.“ Pause. „Na, wartet mal ab. Ich habe da einen Freund, bei dem…“, ich merke, heute sollte ich mich ausführlich der alkoholischen Kulinarik zuwenden. „Es mag sein, dass Sie jemanden kennen, aber ich darf Ihnen versichern, dass WIR keine Kinder bekommen werden.“ So, den bekommt er sicher nicht wieder zurückgespielt – hoffe ich.
Die Eröffnungsrede des Brautvaters beendet das Gespräch und ich kann mich in eine gute Sitzhaltung für die Freigabe des Buffets bringen. Leider zu früh, es folgen erst noch musikalische Lobpreisungen des Brautpaares, die mir bis ins Mark dringen, bevor die Vorspeise serviert wird. Salat. Am Platz. Keine Chance zur Flucht.
„Mal über Adoption nachgedacht?“
nimmt mein Sitznachbar die Unterhaltung wieder auf. Och nö, echt jetzt? „Nein, noch nie von gehört!“ möchte ich provokant sagen, bringe aber ein diplomatisches „Ja, haben uns dagegen entschieden“ hervor und ärgere mich noch immer über das Grünzeug auf meinem Teller. „Es gibt doch so viele Flüchtlingskinder, die man adoptieren könnte.“ Diesem Schmetterball fühle ich mich nicht gewachsen. Ich schiebe mir schnell eine Gabel von dem grünen Allerlei in den Mund und entschuldige mich gestenreich, dass ich gerade nicht sprechen könne. Wie kommt der Kerl darauf, auf der Straße stünden zig Kinder, die schon seit Monaten alle Erwachsenen anflehen, sie doch bitte zu adoptieren. Außerdem, mit einem traumatisierten Flüchtlingskind aus Syrien ist die Gründung einer Familie sicher ein Kinderspiel. Nach einer Weile antworte ich dann aber nur „Nein, eine Adoption ist für uns wirklich keine Option.“ Ich sehe direkt, wie in seinem Kopf der Gedanke rumschwirrt, dass ich dann wohl nicht ernsthaft Kinder haben möchte.
Da unser Gespräch ja bereits so harmonisch läuft, denkt sich mein Gegenüber, er könne da wohl noch einen weiteren Rat loswerden. „Manche legen sich ja dann auch einen Hund zu.“ Ein Hund, genau. Ist ja eigentlich auch das Gleiche. Hund, Kind, egal. Abgesehen davon, dass ich mir den einzigen Vorteil, den meine Kinderlosigkeit hat, wieder zunichte mache: Die Möglichkeit, ohne große Planung in den Urlaub zu fahren, abends spontan noch irgendwo zu bleiben oder am Wochenende bis 12:00 Uhr auszuschlafen – all dies kann ich sehr genießen. Diese Freiheit entschädigt mich, wenn der Kinderwunsch mal wieder ans Hinterstübchen klopft. Gut, kann er nicht wissen.
Matt antworte ich: „Ja, wir haben schon überlegt uns einen Chihuahua zu bestellen.“ Göttlich, dieser verstörte Blick. Dennoch fühle ich mich wie ein Verlierer, der gesenkten Hauptes vom Platz schlurft. Apropos schlurfen: Ich denke, ich sollte dringend an einem guten Whisky nippen.
Mir schießt noch der Gedanke durch den Kopf, dass ich unbedingt mal nachschlagen muss, weshalb es eigentlich unter Höchststrafe verboten ist, seine eigene Kinderlosigkeit und die der anderen einfach zu akzeptieren.
15 Kommentare
Hallo Helge, ja so Situationen kenne ich, aber zum Glück noch nicht viele. Wir sind ja noch jung und haben erst vor kurzem geheiratet. Auch haben die meisten unserer Freunde noch keine Kinder – zum Glück muss ich sagen, denn selbst die wenigen Nachfragen, die zu dem Thema kommen, empfinden wir immer als sehr belastend. Wir gehen mit dem Thema momentan – anders als ihr – nicht offen um, denn die Blicke und dann erst Recht die Nachfragen können wir derzeit (noch) nicht ertragen. Finde es gut, wie souverän du das handhabst! Alles Gute
Hallo Helge, ich hatte neulich erst wieder eine Diskussion mit einer Kollegin darüber, dass es NICHT OKAY ist, andere Menschen zu fragen, warum sie keine Kinder haben. Also außer wenn das Thema darauf kommt und diese Information von sich aus angeboten wird. Genauso wie man Frauen, die ein bisschen rund in der Mitte sind nicht fragt ob sie schwanger sind! Ist doch nicht so schwer.
Respekt jedenfalls dafür, wie du das mit deinem trampeligen und respektlosen Nachbarn gehandhabt hast.
Moin Katrin,
grundsätzlich gebe ich dir recht, dass Kinderwunsch kein Smalltalk-Thema ist. Meine Ablehnung hat sich aber etwas aufgeweicht, jedoch ist bei meinem Beispiel eine Grenze weit überschritten worden. Dieser Beitrag sollte aber eher zum Schmunzeln anregen, denn wie heißt es so schön: Nur wundern, nicht ärgern! 😉
Puuuuh, Empathie ist wirklich nicht jedem gegeben. Was ein großer Sch***. Ich hätte mit dir das Glas gehoben!
Liebe Franzi,
es wäre mir eine Freude gewesen. Aber dann halt: Fernprost!
Helge, du bist der Hammer! Wie du das alles auf den Punkt bringst in einem einzigen Text, und dann ist es auch noch witzig, obwohl sowas in der Situation selbst alles andere als lustig ist (selbst erlebt)… Chapeau!
Liebe Elaine, vielen Dank! Es freut mich, dass ich dir mit meinem Text ein wenig Freude bereiten konnte. Lieben Gruß in die Schweiz!
An alle weiteren Leser: Schaut mal auf elaineok.com vorbei, ihr Blog lohnt sich – definitiv.
Danke, Helge, fürs Verlinken!
Ich habe mich sehr gerne revanchiert und dich ebenfalls in meine Linksammlung aufgenommen.
Verregnete Frühlingsgrüsse aus dem Süden!
Vielen Dank für diesen tollen Blog und schön zu sehen, dass man nicht alleine ist! Du hast wirklich einen wunderbaren Schreibstil und man kann sich wirklich nur wundern, wie trampelig manche Leute bei ihrer Konversation sind *mitdenaugenroll*!
Vielen Dank, liebe Eva. Mittlerweile amüsieren mich solche Situationen, trotz aller Trampeligkeit. Ich denke aber dennoch, dass Aufklärungsarbeit wichtig ist.
meidet doch einfach Familienfeste wie Hochzeiten. Ich kenn so gut wie keine Leute mit Kindern, wozu auch? Man hat mit denen keine Gesprächsthemen – wozu mit leuten abgeben, die kinder haben. Für Kinderlose ist es viel besser, sich gar nicht unter Leute mit Kindern zu mischen. Holt euch einen Hund und geht an den Strand Travemünde unter Hundebesitzer – dann hat man auch immer Gesprächsthemen. Die meisten Hundebesitzer behandeln ihre Hunde in Deutshcland sowieso wie Kinder.
Liebe Leonie, auch wenn ich zweifle, dass das dein ernst ist, kann ich dem nur widersprechen. Hochzeiten sind wundervoll, auch wenn dort – wie überall sonst – unsensible Menschen lauern. Sich zurückzuziehen macht die Lage nur schlimmer, nicht besser. Jedenfalls habe ich es so wahrgenommen.
Lieber Helge,
du kannst wirklich toll schreiben. Wir kommen auch immer wieder in solche unangenehmen Situationen. Ich lege mir eigentlich vorher eine schlagfertige Antwort bereit, die mein Gegenüber schnell zum Schweigen bringen soll. Leider merke ich dann jedes Mal, dass ich die Worte „Wir können keine Kinder bekomme“ nicht aussprechen kann (weil ich sonst in Tränen ausbrechen würde) und wie ein geprügelter Hund das Weite suche und mir für die nächste Einladung eine Ausrede ausdenke. Ich hoffe mit der Zeit können wir gelassener damit umgehen. Uns gibt die Selbsthilfegruppe sehr viel Kraft. Die Erfahrungen der anderen, das gemeinsame Lachen über die absurden Geschichten die jeder so erlebt hat, man nimmt immer etwas mit. Unser Plan B ist witzigerweise auch ein Haus mit Pool, aber die ein oder andere ICSI nehmen wir noch mit. Man will ja nichts unversucht lassen. Alles Gute!
[…] Die Möglichkeiten einer erfolgreichen Behandlung, die Kraft dafür zu kämpfen und das eigene Sicherheitsgefühl sind immer verschieden. Alle haben eigene Leistungsgrenzen und Leidensfähigkeiten. Jedoch ist niemanden geholfen, wenn einem ein fremdes Wertesystem à la „wer sich nur genug anstrengt, kann alles erreichen“ übergestülpt wird. Warum ist es verboten aufzugeben (siehe „Childress not by choice? No chance!„)? […]
Der Wunsch, Eltern zu werden, führte uns zur Leihmutterschaft. In jedem Fall ist es besser Leihmutterschaft in solchem Land in anspruch zu nehmen, wo es erlaubt ist. Und es ist auch wichtig den Vertrag mit einer Agentur oder Klinik mit gutem Ruf unterschreiben. Wir zum Beispiel hatten unser Kind mit Hilfe einer Leihmutter von ukrainischen Kliniken (Feskov https://leihmutterschaft-zentrum.de) bekommen und alles verlief gut und wir sind allen für unser Wunschbaby nur dankbar!